|  |   >image>image is a visual exploration of the intersection between
          art and advertising.
 It documents through the contributions of 59 international artists and
          carefully selected commercial advertisers how these two cultural spheres
          that both reflect and mirror desires, fetishes and values of our society,
          influence inspire and sample one another.
 Fifty international artists were invited to design an ad in form of a
          single or a double page. The artists contributions are confronted with
          commercial company ads which are especially innovative in regard to their
          design, imagery or strategies and ads that relate to art or ads inspired
        by artists’ work.
 Contributing artists: Fia Backström, Boonpiputtanapong & Akukritkul, Daniele Buetti, Claude Closky, 
	  Oliver Croy, Christoph Draeger, Martin Ebner, Gardar Eide Einarsson, fabrics interseason, Peter Fend, Silvie Fleury, Rainer Ganahl, 
	  Johan Grimonprez, Matthias Hammer, Swetlana Heger, Eric Heist, Philipe Terrier-Hermann, Damien Hirst, Heidrun Holzfeind, Meriam Kerkour, 
	  Jeff Koons, Barbara Kruger, Inez van Lamsweerde, Harald Mayr/Yasmina Haddad, Miltos Manetas, Vik Muniz, Bruno Peinado, Richard Prince, 
	  L.A. Raeven, Ugo Rondinione, Ed Ruscha, Tom Sachs, Sante Scardillo, Eric Schuhmacher, Constanze Schweiger, Alberto Simon, Jules Spinatsch, 
	  Clemens Stecher, Danko Steiner, Katrin Thomas, Zhou Tiehai, Piotr Uklanski, United Aliens London, Viktor&Rolf, Gillian Wearing Concept/editor: Heidrun Holzfeind. Assistant editor/production: Agnes Barley. Graphic design: Pascale Willy
         Autoallergische NarzismenÜber das aktuelle Verhältnis von Kunst und Werbung
 Der junge
          Mann trägt braune Cordhosen, Adidas-Turnschuhe und eine Frisur
          wie sie damals in den siebziger Jahren Mode war. Er kniet vor einem
          kleinen
          Teich – eigentlich ist es ein Tümpel – und betrachtet
          darin ausgiebig sein Spiegelbild. Und immer wieder entwischt eine kleine
          Träne seinem Auge, sucht sich den Weg allen Irdischen und fällt
          in die glatte Wasseroberfläche, wo sie in einem fort das Ebenbild
          des Mannes zerstörte, dessen Körper sie entstammte. Der Mann
          heisst bürgerlich Olaf Nicolai und ist Künstler. Die Rolle,
          die er als Skulptur spielt, ist Narziss – eine Figur aus der
          klassischen griechischen Mythologie. Narziss ging in die Geschichte
          ein, weil er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und ob dieser
          Selbstbezogenheit alles um sicher herum vergass. 
 Was diese Installation für die aktuelle Beziehung zwischen Kunst
          und Werbung zuerst einmal bedeutsam erscheinen lässt, ist die
          Darstellung des Protagonisten. Allerdings ist damit nicht der Künstler
          per se gemeint, sondern die Figur des Menschen als Betrachter seines
          Ebenbildes – und letztlich auch wir, die wir uns beim Betrachten
          unseres Spiegelbildes beobachten können. Es geht also nicht um
          die konkrete Narziss-Geschiche in Remakeform, sondern um die Relevanz
          des Mythos für unseren gegenwärtigen Umgang mit Subjektkonstruktionen,
          mit dem Self Engineering im Zeichen der zunehmenden Bedeutung des Visuellen
          einerseits, und dem gleichzeitig sich vollziehenden Rückzug verbal
          geprägter Ausdrucks- und Kommunikationsformen (beispielsweise
          Religon und Politik) anderseits. Wenn also das Visuelle das Verbale
          ablöst, dann nehmen jene massenmedialen Plattformen, welche Bilder übermitteln
          ein besonders wichtige Funktion wahr: sie fungieren als eigentliche
          Vor-Bild-Produzenten und schaffen Spiegelflächen im Lacan’schen
          Sinne. Als Resultat davon begegnen wir den Role Models nicht mehr wie
          früher exklusiv in den Kirchen, sondern werden auf Schritt und
          Tritt mit stilisierten Vor-Bildern aller Couleur umworben. Im Gegensatz
          zu verbalen Codes, vermitteln Bilder ihre Botschaft ungleich schneller,
          direkter, vor allem aber sind sie dank der kommunikationstechnischen
          Entwicklung der letzten Jahrzehnte fast überall präsent.
          Das hat zur Folge, dass wir eigentlich ständig Bildabgleiche vollziehen,
          uns in Beziehung zu den Bildern setzen – ob wir’s wollen
          oder nicht!
 
 Einen ganz besonderen Stellenwert in diesem Pingpong-Spiel zwischen
          Bild und Betrachter nimmt das Werbebild ein. Es vermittelt die idealisierte
          Bildhaftigkeit der menschlichen Existenz als Möglichkeitsform.
          Das Werbebild singt das Lied von Schönheit, Erfolg und Glück.
          Und es verleiht diesen Leitwerten der postindustriellen Gesellschaft
          Form, gibt ihnen ein Antlitz, das zugegebenermassen häufig mehr
          Aura besitzt, als ein politisches Programm oder eine Heilslehre mit
          spekulativen Zukunftsversprechen. Das Versprechen des Werbebildes zielt
          immer auf Erfüllung in der unmittelbaren Gegenwart: Kauf mich,
          und du wirst sofort glücklich! Und genau aufgrund dieses simplen
          Mechanismus ist es so erfolgreich, dass der Medienphilosoph Beat Wyss
          gar hofft, es könne dereinst als globale „grosse Erzählung“ im
          Dienste der Völkerverbindung gutes tun. Wahrscheinlich ist es
          tatsächlich so, dass Coca Cola und McDonalds mehr zur weltweiten
          Verbreitung des American Spirit beigetragen haben, als die Unabhängigkeitserklärung
          von Thomas Jefferson. Aber das ist eine andere Geschichte.
 
 Werbebilder liefern uns die normierte Vorstellungen von einer idealen
          Welt. Und wir wiederum liefern der Marktforschung im Austausch die
          präzisen Angaben, ob wir diese visuellen Konstrukte mögen
          oder nicht. Damit wird deutlich, dass die Bildbetrachter auch Bildermacher
          sind weil sie Einfluss auf ihre Genese nehmen. Die öfters von
          den Betrachtern reklamierte Opferrolle – eben jener autoallergische
          Narziss-Effekt den Olaf Nicolai so treffend auf den Punkt gebracht
          hat - kann aus dieser Perspektive nicht mehr in Anspruch genommen werden.
          Und weil wir in dieser paradoxalen Situation gefangen sind, an der
          Produktion der Bilder mitzuwirken (ein Sachverhalt, der uns auch bewusst
          ist), aber dennoch den in den Bildern projezierten Idealzustand allzu
          selten oder nie erfahren, müssen wir beim Anblick dieses kontruierten,
          werberischen Ebenbildes weinen. Wir sehen also wie das Bild ensteht,
          wir sehen uns es betrachten, und wir sind in einem gleichsam Bildstörungsreflex
          dazu verdammt, es imerfort gleich wieder zum verschwinden zu bringen.
 
 Nun hat sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Massenmdialisierung
          auch die Rolle der Kunst grundsätzlich verändert. Einst Monopolistin
          in Sachen Bild, ist ihr in den Bilderreproduktionstechniken der Neuzeit
          eine mächtige Konkurrenz erwachsen. Ja, in den letzten dreissig
          Jahren sprach sogar vieles dafür, dass die Massenmedien zum Schlus über
          die Kunst triumphieren würde. Dann trat in der ersten Hälfte
          der 1990er Jahre etwas entscheiden Neues ein: die Kunst begann, sich
          massenmediale Strategien und Mittel anzueignen, betrieb sozusagen Werkspionage
          beim erfolgreichen Konkurrenten und lancierte quasi eine neue Produktelinie,
          nämlich Fotos und Videos, die dem Auratischen nur noch als limitierte
          Nummerierung auf einem letztlich massenmedialen Träger seine Referenz
          erwies. (Als Nebeneffekt dieser Adaption des Massenmedialen konnte
          auch das Interesse an den klassisch künstlerischen Techniken wieder
          geweckt werden.) Dass Kunst heute erstmals auf breiter Ebene als (zwar
          noch immer exklusives) reproduziertes visuelles Produkt akzeptiert
          wird, muss als direkte Reaktion auf die Dominanz des Massenmedialen
          verstanden werden. Es mag allerdings trotzdem erstaunen, dass sich
          dieser Paradigmenwechsel in der Kunst erst rund 150 Jahre nach der
          Erfindung der Fotografie wirklich vollzogen hat.
 
 Offenkundig ist aber auch, dass die künstlerische Bildproduktion,
          obwohl zahlenmässig vollkommen unterlegen und bezüglich heutiger
          Kriterien wie Aktualität und Mobilität im Nachteil, genau
          diesen Nachteil zu einer eigentlichen Qualität entwickelt hat.
          Zur Reaktion gezwungen, hat die Kunst das Reflexive zur Tugend gemacht
          und für die eigene Bildproduktion das Museum als medialen Kanal
          erfunden. Wenn Bilder mit Bildern zur Diskussion gestellt werden, dann
          zeigt sich die präzise, fokussierte Präsentation eines fixierten
          Einzel-Sujets gegenüber dem Nonstop flimmernden Strom des Massenmedialen
          deutlich im Vorteil. Das erst in der Neuzeit entwickelte Begriffspaaar
          "angewandte" und "schöne" Künste
          spiegelt in diesem Sinne auch das Hass-Liebe-Verhältnis der beiden
          kokurrierenden und doch aufeinander angewiesenen Partner.
 
 Als Betrachter und Bildkonsument müssen wir also höllisch
          aufpassen, wollen wir in diesem Spannungsfeld nicht aufgerieben werden.
          Denn die attraktive Paarung kultiviert einen eigentichen Rosenkrieg,
          dessen Konfliktspirale immer schneller dreht. Kaum hat nämlich
          die Kunst auf ein neues massenmediales Phänomen Bezug genommen,
          es reflektiert, decodiert, entkontextualisiert und aus diesem atomisierten
          Hochglanzelementen etwas Neues konstruiert, geht der visuelle Massenkommerz
          sogleich zum Gegenangriff über. Künstler müssen heute
          Trendscouts ebenso fürchten wie der Teufel das Weihwasser! Haben
          die nämlich erst einmal das Potenzial einer künstlerischen
          Idee entdeckt, sie instrumentalisiert, dann "friert" sie
          gewissermassen auf den Fernsehbildschirmen, Plakatwänden und in
          den Zeitschriften ein und haucht damit aus der Sicht der Kunst auch
          ihr Leben aus – das Kunst-Paradigma von der "differance" (Derrida)
          hat sich spätestens dann erledigt, wenn es auf Sujets appliziert
          wird, die für ein Shampoo in den medialen Wettstreit ziehen.
 
 Zum Glück fand die Kunst auch auf diese Vereinnahmung eine Antwort.
          Sie begann, sich selber aktiv in den massenmedialen Kreislauf einzuschalten
          und leitet damit die wohl wichtigste Innovation ihrer Geschichte seit
          der Abstraktion ein. Anfang der 1990er Jahre trat eine junge Generation
          von Künstler auf, die sich um die bis dahin ausgiebig kultivierten
          Grenzen zwischen Kunst, Werbung und journalistischer Kommunikation
          foutierten. Ohne bereits arrivierte Stars zu sein, nahmen sie mal einen
          Job für ein Mode-Shooting an, realisierten kurz darauf eine Fotoreportage
          und gingen gleichzeitig noch ihren eigenen Projekten nach. Dabei machten
          sie ganz explizit keinen Unterschied zwischen diesen drei Disziplinen
          des Visuellen. Der deutsche Fotokünstler Wolfgang Tillmans ist
          an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Seine Grenzverletzungen,
          die er selber nie als solche bezeichnete, sind legendär und typisch
          für diese neue Haltung. Fotos, die er etwa im Auftrage von Modeunternehmen
          anfertigte, wurden wenig später mit grosser Selbstverständlichkeit
          auch im Galerien und Museen zur Schau gestellt. Bei Tillmans ging diese
          "ästhetische
          Infiltration"so weit, dass er für kurze Zeit Mitbesitzer
          der Kölner Zeitschrift Spex wurde. Bemerkenswert auch der Umgang
          des Künstlers mit dem eigentlichen Kunst-Bild: Wer ein Foto von
          Tillmans erwirbt, erhält in der Regel ein relativ kleines Bild,
          versehen mit einer „Gebrauchsanweisung“, die dem Käufer
          die Erlaubnis erteilt, von der physisch erworbenen Vorlage eine grossformatige
          Ink-Jet-Reproduktion herstellen zu lassen.
 
 In genui nahm Andy Warhol natürlich diese oszillierende Wechselwirkung
          zwischen den Konkurrenten um die Bilder bereits vor mehr als 30 Jahren
          vorweg. Wie in fast allem was Warhol tat, war er auch hinsichtlich
          der Infiltration der Massenmedien durch die Kunst seiner Zeit weit
          voraus. Und auch die narzistische Selbstauflösung beim Self Engineering
          wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. Doch mit einem Umstand wurde
          Warhol lange Zeit nicht fertig: die Kunstszene nahm ihm seine Vergangenheit
          als Werbegrafiker selbst dann noch übel, als er bereits ein unbestrittener
          Star war. Erst im Rückblick und aus heutiger Perspektive wird
          klar, wie wegweisend, und, obwohl in der Erscheinung oft gefällig,
          wie radikal subversiv der Ansatz seines Kunstverständnisses ist.
          Warhol hatte nämlich einerseits begriffen, dass die Massenkommunikation
          ihm täglich den Stoff, bzw. die Sujets für seine Werke frei
          Haus liefert; anderseits konnte er nur dank den technischen Grundlagen
          dieser Bilderindustrie seine Factory-Idee von der seriellen Bildproduktion überhaupt
          erst realisieren. Und zu guter letzt verschaffte sich Warhol, der erst
          Covers von Zeitungen in Museen geschmuggelt hatte, im Umkehrschritt
          Zugang zum Gral der Kommunikationsbranche, untergrub mit seinen Fernseh-Talkshows
          und seiner Zeitschrift Interview das Informationsmonopol der kommerziellen
          Kommunikation.
 
 Warhol, ein Meister darin, den Gegner mit eigenen Waffen zu schlagen,
          sagte auch: "Ich liebte es, unterschiedlichen Zeitungen unterschiedliche
          Informationen über mich selber zu geben, weil ich damit herausfinden
          wollte, woher die Leute ihre Nachrichten beziehen."
 Christoph Doswald, Karfreitag den 29. März 2002
 
 
 
 
    |